„Rassisch unerwünscht“

Sowjetische und polnische Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

In: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Zwangsarbeit und Gesellschaft (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 8), Bremen 2004.

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Zwangsarbeiterkinder



Ukrainische Zwangsarbeiterinnen am Rammelsberg. Nachkoloriertes Foto.

Leseprobe:

Erst gegen Ende des Jahres 1942 konnten die sowjetischen Zwangsarbeiterinnen sonntags in beaufsichtigter Kolonne das Lager verlassen, später gab es stundenweisen Ausgang. Das ohnehin rissige Gefüge von Normen und Moralvorstellungen war unter den Bedingungen der Zwangsarbeit zerbrochen. Die kurze Zeit unkontrollierten Ausgangs benutzten die sowjetischen Zwangsarbeiterinnen auch, um für ihr Frausein Bestätigung zu finden. Marusja H., eine ehemalige Zwangsarbeiterin aus Braunschweig, fasste die erlebten Erniedrigungen mit den Worten zusammen: „Und überhaupt war einem da das ganze Leben hinweggenommen ... andere haben das irgendwie überbrücken können ... die stiegen etwa da darüber, und andere haben Freunde und alles so was, und da ging das, als die das Schlimmste überwunden haben und haben sich mit der Lage abgegeben, aber viele gingen natürlich seelisch noch dabei zugrunde.“

Auch außerhalb des Lagers nahmen sowjetische Zwangsarbeiterinnen Beziehungen auf. Wege, das Lager heimlich zu verlassen, wurden gefunden und genutzt. Kontakte zu privilegierteren Zwangsarbeitergruppen, insbesondere den sogenannten „Westarbeitern“ boten die Möglichkeit, die schmalen Rationen aufzubessern – die Grenzen zwischen Liebesbeziehungen und prostitutionsartigen Verhältnissen waren fließend. Für einige Stunden dem Zwangsarbeiterdasein zu entfliehen, als Frau wahrgenommen zu werden, ein zusätzliches Stück Brot zu essen – solche Bedürfnisse standen im Vordergrund.

Die Zukunftsperspektive fehlte den sowjetischen Frauen und Mädchen nicht nur im Hinblick auf das gegenwärtige Zwangsarbeiterinnendasein. Viele empfanden Angst- oder Schuldgefühle, wenn sie an ihr Land dachten. Sie halfen objektiv dem Feind, sie leisteten keinen Widerstand; sie versuchten nur zu überleben. Natascha aus dem Wolfsburger „Ostlager“ schrieb an ihren holländischen Freund: „Wir alle werden als Feinde betrachtet werden.“ Als zukunftslos mussten ledige sowjetischen Zwangsarbeiterinnen ihre Schwangerschaft erleben. Zwar blieben sie nach wie vor in die Gemeinschaft ihrer Leidensgenossinnen integriert, denn über „Moral“ wurde in den Lagern kaum diskutiert; jedoch war vielen klar, dass die Rückkehr in die Heimat mit einem im Feindesland gezeugten und geborenen Kind einen Spießrutenlauf bedeuten würde. Von Vorwürfen wie: „Wir haben gekämpft und Ihr habt Euch ein schönes Leben gemacht“, der Beschimpfung als „Deutschenhure“ bis hin zum Kollaborationsverdacht würde die Palette der Anklagen reichen.