Pressestimmen zum Braunschweiger „Schlossbau“

Der Kunsthistoriker Nikolaus Bernau hat in der Berliner Zeitung (1.9.2004) die Braunschweiger Schlossplänefolgendermaßen kommentiert:

„... es geht gar nicht so sehr um Geschichte als vielmehr um die Frage, wer bestimmt in Braunschweig, was Braunschweigerisch ist. Seit der Industriealisierung haben die alten, bürgerlichen Eliten an Einfluss verloren, jahrzehntelang war die Stadt fest in der Hand der Sozialdemokraten. Nun, mit dem Zusammenbruch der Industrie und der Arbeiterschichten, ändert sich auch das Machtgefüge wieder. Zu Symbolen dieser Wiedereroberung der Stadt durch ihre alten Eliten wurde der Sieg der CDU bei den vergangenen Kommunalwahlen und der von dem neuen Oberbürgermeister umgehend aufs Tapet gehobene Plan der Schlossrekonstruktion.

Kritisches Geschichtsbewusstsein und wirkliche, Material und Plan umfassende Architekturliebe spielen wie in vielen Rekonstruktionsdebatten nur eine Nebenrolle. Das zeigt sich daran, wie die Schlossrekonstruktion realisiert werden soll. Weil Braunschweig genau so pleite ist wie die meisten deutschen Städte, wurde der Schlosspark verkauft, damit die Hamburger Firma ECE hier ein Einkausfzentrum errichten kann. Und vor dieses alle Braunschweiger Innenstadtproportion sprengende Projekt, entworfen vom Berliner Architekturbüro Grazioli + Muthesius, stellt die ECE die Schlossfassade.

Die architektonischen Kompromisse, die durch diese skandalöse Vermischung von Kulissenarchitektur und Kommerznotwenigkeiten entstehen, sind atemberaubend. Das Schloss entsteht nicht einmal mehr als Raumkörper wieder; die Shopping-Mall überdeckt den einstigen Hof und reicht tief in die Geschosse hinein. Weil der Zugang für die Kunden ungehemmt sein soll, entstehen weder der Kuppelsaal noch das einzigartige Treppenhaus wieder. Die kulturelle Nutzung - ein Schlossmuseum ist geplant, die Stadtbibliothek soll einziehen - ist allenfalls noch ein Feigenblatt. Entstehen wird keine Architektur, sondern ein dreidimensionales Foto.

Münzhändler Borek betont zwar, es drehe sich ja nur darum, ein "Erinnerungsmal" zu bauen. Doch warum akzeptieren die alten Eliten eine solche ästhetische und geistige Pervertierung ihres Traumes? Hier hilft der Blick über Braunschweigs Grenzen. Die Rekonstruktion des Knochenhauser-Amtshauses in Hildesheim, der Dresdner Frauenkirche, des Warschauer Schlosses oder auch der Braunschweiger Waage wurden von breiten Volksbewegungen getragen. Die Schlossprojekte in Braunschweig, Potsdam oder Berlin hingegen werden von zahlenmäßig und sozial relativ kleinen Gruppen verfochten. Deutlich wird das daran, dass es bei keinem dieser Projekte bisher gelungen ist, wirklich effizient Spenden einzusammeln, die der beste Beweis für breites Bürgerengagement sind.“

Hanno Rauterberg, ebenfalls Kunsthistoriker, schrieb in der Zeit (9.6.2004) unter der Überschrift Wo bleibt der Mut?:

„Es war eine Frage der Ehre: Wer als Architekt auf sich hielt, der war entschieden gegen monströse Einkaufszentren, gegen den Wiederaufbau verblichener Monumente und erst recht gegen den Doppelalbtraum, der gerade Braunschweig heimsucht – eine Schlossrekonstruktions-Shopping-Mall. Doch neuerdings lösen sich selbst diese eisernen Überzeugungen auf. Von der Auftragskrise geschüttelt, verraten sogar bekanntere Architekten ihre Glaubenssätze. ... Auch die Wettbewerbssieger Alfred Grazioli und Wieka Muthesius galten bislang als redliche Modernisten – und beteiligen sich nun doch an einem Vorhaben, das in seiner Ästhetik grotesker kaum sein könnte und zudem das ohnehin schwächelnde Leben der Braunschweiger Innenstadt akut gefährdet.

Dass man überhaupt auf die Idee kam, das Schloss wiederaufzubauen, dieses bauhistorisch epigonale Gebilde aus dem 19. Jahrhundert, das im Krieg stark zerstört und später abgerissen worden war, ist schon aberwitzig genug. Vollends absurd wird der Plan indes dadurch, dass der Rat die Neuresidenz zwar (mit nur einer Stimme Mehrheit) beschlossen hat, diese aber von der Stadt gar nicht gebaut wird. Weil das Geld fehlt, holt man sich einen neuen Feudalherrn in die Stadt, den Shopping-Regenten ECE. Diese Tochterfirma des Otto-Konzerns wird das Schloss bauen, und, unmittelbar daran anschließend, ein gigantisches Glasgeschwür, ein 30000 Quadratmeter großes Einkaufszentrum, das den gesamten Park überwuchert und aus dem einstigen Schloss-Solitär ein Anhängsel macht. Wer künftig das stolze Mittelportal des Schlosses durchschreitet, der tritt ein in eine Welt der Boutiquen, Dönerbuden und Kaufhausketten. Er gelangt in das Königreich namens Konsum.

Allerdings hat die Stadt, um zumindest ein wenig historischen Anstand zu wahren, die meisten Schlossräume für sich reserviert. Sie will hier Archiv und Bibliothek, Standesamt und Kulturzentrum unterbringen und sichert damit der ECE, der Schlossbesitzerin, beträchtliche Mieteinnahmen und großes Publikum. Dieses wird der Innenstadt, die schon jetzt über Leerstände klagt, bitter fehlen. Doch statt diese Verluste auszugleichen, subventioniert der Rat die neue Konkurrenz auch noch. Der gesamte Erlös aus dem Verkauf des Schlossparks, immerhin 35 Millionen Euro, wird dafür ausgegeben, das Umfeld der ECE-Glasburg zu verschönern und das Schloss möglichst authentisch aussehen zu lassen. Damit die alten Bruchstücke der Fassade, ausgebuddelt in einer Kleingartensiedlung, auch wirklich sorgfältig in den Neubau integriert werden, schenkt die Stadt Braunschweig dem ECE-Konzern 13 Millionen Euro.